Bedeutende Klosterneuburger
Vinzenz Goller
Komponist, Kirchenmusiker und
Bürgermeister der Stadt Klosterneuburg
Bürgermeister der Stadt Klosterneuburg
Vinzenz Goller
wurde am
9. März 1873
als Sohn des
Josef Goller
und seiner Frau
Rosina, geb. Plaikner,
in
St. Andrä bei Brixen in
Südtirol geboren. Sein Vater war in St. Andrä Volksschullehrer, Mesner
und Organist. Goller entstammt also - wie viele andere Musiker - einer
Familie, die einenguten natürlichen Nährboden für einen Beruf als
Kirchenmusiker und Pädagoge bildete. Dazu kam eine überdurchschnittliche
musikalische und pädagogische Begabung. Dass in seiner Familie
katholischer Glaube und Liebe zur angestammten Heimat lebten, versteht
sich beinahe von selbst. Durch frühzeitige Aktivitäten im Kirchenchor
von St. Andrä als Sänger und bald auch als Ersatzorganist sowie durch
Notenschreiben und Transponieren wurde ihm die Musik
natürlicher künstlerischer Lebensraum, seine zweite Natur, mit
der er verbunden war wie mit seiner ihn umgebenden herrlichen
Heimat der Täler und Berge des Brixner Beckens.
Von Neustift bei Brixen kam Goller 1888 an die
Lehrerbildungsanstalt nach Innsbruck. Er wollte ja Lehrer
werden. Die Welt der Musik öffnete sich ihm nun weiter durch die
Musikschule des dortigen "Musikvereins", die
Prof. Josef Pembaur (1848-1923)
leitete, sowie durch aktive Mitarbeit in den Kirchenchören von
Innsbruck.
1885, also als Bub mit 12 Jahren, kam er als Sängerknabe
und Student in das im Tal gelegene
Augustiner-Chorherrenstift Neustift. Dort entfaltete sich
sein junges Talent organisch weiter und wurde vielseitig
gebildet durch Chor- und Choralsingen, durch tägliches Üben im
Violin- und Waldhornspiel, durch seine Bekanntschaft mit dem
gleichaltrigen
Josef Gasser
(1873-1957), sowie durch die erste Begegnung mit einem
"großen" Musiker, nämlich
Ignaz Mitterer (1850-1924),
dem damals soeben in Brixen angestellten
Domkapellmeister.
Von Innsbruck zog er wieder heim als Lehrer. Er wurde
Volksschullehrer in
Niederolang (1892-1893), Sexten (1893-1899)
und in St. Lorenzen im Pustertal (1899-1903).An diesen
Orten mußte er als Musiker andere bilden und führen,
lernte dabei selbst musikalische Pädagogik "von Grund" auf und
zwar als Singlehrer, Chorleiter, Organist und Komponist. Als
solcher war er fast "gezwungen" zu komponieren, denn die
Notenarchive der Pfarre waren ziemlich dürftig. "So entstanden
nach und nach in Anpassung an die Fortschritte meiner jungen
Kirchenchöre die später im Druck erschienenen Werke bis op. 25;
in der ersten Wochenhälfte wurde komponiert und kopiert', in der
zweiten Hälfte einstudiert."
Sein Talent trieb ihn naturgemäß mehr und mehr ganz zur Musik.
Eine Zeit lang nahm er Privatunterricht bei dem berühmten
Josef Rheinberger
und erwarb sich "durch Verkauf von Gamsbärten" einen
selbstbezahlten Studienurlaub an der
Kirchenmusikschule in Regensburg.
Goller besuchte in Regensburg den "24. Kurs" im Jahre
1898, wie die Festschrift "Gloria Deo-Pax hominibus" zum
100jährigen Bestehen der Kirchenmusikschule Regensburg mitteilt.
Diese erste systematische kirchenmusikalische Schulbildung in
Regensburg auf hoher Ebene formte Goller entscheidend: durch
F. X. Haberl, Michael Haller und Josef
Renner jun.
kam er mit dem "Cäcilianismus" in Verbindung und
Regensburg legte den Urgrund seiner liturgischen Lebensgesinnung
durch
Dr. Georg Jakob,
der dort Liturgik, Ästhetik und Geschichte der Kirchenmusik
lehrte.
Im Jahre 1899 verehelichte sich Goller mit
Maria Josefa Pfeifhofer aus
Sexten. (Der Ehe entsprossen sieben Kinder. Von
1903 an ist Gollers Beruf einzig und allein der
Kirchenmusik gewidmet: als Komponist, Pädagoge, Dirigent,
Organist und Organisator, beginnend in dem bayrischen Städtchen
Deggendorf (an der Hauptkirche "Maria Himmelfahrt").
Sein Ruf als Komponist - besonders durch seine "Loreto-Messe"
op. 25 - war inzwischen fast weltweit geworden, sodass er mit
dem Aufbau einer "Abteilung für Kirchenmusik" an der
Wiener Musikakademie betraut wird.
Damit erreicht Goller den "dienstmäßigen" Höhepunkt seines
Lebens, er ist Leiter einer der ersten Hochschulen für
Kirchenmusik. Er bleibt aber dabei bewußt verbunden mit der
"Basis", mit den kleinen Kirchenchören und dem Volk und
komponiert auch weiterhin gemäß seiner Devise: "Aus der Praxis
für die Praxis".
Die "Abteilung für Kirchenmusik" hatte ihren ersten Sitz im
Augustiner-Chorherren-Stift Klosterneuburg. Dies ist für
Goller im doppelten Sinn bedeutungsvoll: Er kommt in lebendige
Verbindung mit einem Zentrum abendländischer Musikkultur und
auch mit
Pius Parsch,
dem Gründer der "Volksliturgischen Bewegung". Außerdem
fällt in diese Zeit die beginnende Erneuerung des christlichen
Lebens aus dem Geist der Eucharistie und Liturgie durch
Pius X.
So wird Goller einer der ersten" volksliturgischen
Kirchenmusiker" und ein Kirchenmusiker, der Papst Pius X. von
Anfang an überzeugt Gefolgschaft leistet.
Seinen Dienst als Kirchenmusiker unterbricht er von sich aus im ersten Weltkrieg. Mit Italiens Übertritt zu den Alliierten im Mai 1915 meldete Goller sich als "Freiwilliger" der Tiroler Standschützen. Bis zum Kriegsende avancierte er vom einfachen Standschützen zum Bataillonskommandant der Truppen im Pustertal. Nach seiner Gefangennahme im September 1918 durch die Italiener flüchtete er bald aus dem Lager in der Nähe von Mantua über wenig begangene Bergpfade in die Schweiz und von dort nach Österreich. Im Februar 1919 war er glücklich in Klosterneuburg bei der Familie und übernahm wieder die Leitung der Abteilung "Kirchenmusik", die er bis 1921 inne hatte. Als seine Eltern im August 1920 ihre Goldene Hochzeit feierten, konnte Goller nicht auf legalem Weg nach Brixen gelangen, da er als geflohener Kriegsgefangener noch immer auf den italienischen Fahndungslisten stand. In umgekehrter Richtung ging es diesmal von Österreich über die Schweiz nach Südtirol, auf ebenso geheimen Wegen. Er langte rechtzeitig zur Feier ein. Sie fand in der Nacht statt in der Wohnung seines Bruders Pius Goller, Domherr und Domkapellmeister in Brixen.
Nach seiner Rückkehr nimmt er seinen Beruf als Kirchenmusiker
wieder auf, zugleich aber kämpft er mutig als Politiker. Er
wird Gemeinderat (ab 1933) und dann Bürgermeister von
Klosterneuburg (1936-1938).
Im März 1938 wurde er durch die Nationalsozialisten seines Amtes enthoben. Zwei seiner Kinder gehörten einer der ersten Widerstandsgruppen an, der "Gruppe Scholz", die aus einigen Dutzend Leuten bestand. Einer aus den eigenen Reihen wurde zum Verräter und die Gruppe wurde am 22. Juli 1940 ausgehoben, inhaftiert und angeklagt. Gollers Tochter wurde infolge der Mißhandlungen während ihrer Haft fast blind, der jüngste Sohn Hubert wurde wegen "Volksverrat" zum Tod verurteilt. Ein enger Parteifreund Hitlers, dem Goller im 1. Weltkrieg einmal das Leben gerettet hatte, bewahrte eingedenk dieser Tat den Sohn vor dem Fallbeil. Er wurde "nur" zum Dienst in einer Strafkompanie verurteilt. Gollers Frau brach unter diesem Schlag zusammen und sollte sich nie mehr ganz erholen. Als 1941 Stift Klosterneuburg aufgehoben wurde, übersiedelte er mit der restlichen Familie nach St. Michael im Lungau, wo eine seiner Töchter mit einem Arzt verheiratet war. Nach dem Tod seiner Frau 1946 verbrachte er einige Zeit bei seinen Geschwistern in Südtirol, bis er 1950 wieder nach Klosterneuburg zurückkehrte.
1953 wurde Vinzenz Goller zum
Ehrenmitglied der Akademie für Musik und darstellende
Kunst ernannt, er starb jedoch noch, bevor der Festakt statt
fand. Nach einem Jagdausflug erkrankte er an einer
Lungenentzündung und
starb am 11. September 1953 in St. Michael im Lungau.
Er wurde am dortigen Friedhof an der Seite seiner Frau
bestattet. Sein Grab liegt gewissermaßen im geographischen
Mittelpunkt seines "Lebenskreises":
St. Andrä-Innsbruck-Regensburg-Deggendorf-Klosterneuburg. In das
Grab wurden Erde und ein Stein aus Südtirol eingefügt.
HINWEIS
Betrachten Sie dazu bitte auch die Dokumentation von Hermann Kronsteiner
VINZENZ GOLLER: Stammbaum und
Nachkommen
Werke
Goller schuf überwiegend kirchenmusikalische Werke, für alle
kirchlichen Feste im Jahreskreis gibt es Kompositionen von ihm.
Die bis 1903 gedruckten Werke erschienen unter dem
Pseudonym
Hans von Berchthal.
Es sind dies op. 1 bis 3. Unter seinem
wirklichen Namen erschienen zahlreiche Messen, Requien und
Offertorien. In seiner "Selbstbiographie" (erschienen unter dem
Titel "Zeit lassen!" im "Alpenländischen Kirchenchor",
1953, Nr. 3 und 4) meint er, er habe für alle
Gelegenheiten des Kirchenjahres Texte vertont. Liest man das
Werkverzeichnis, so ist klar zu erkennen, daß er tatsächlich für
das jeweilige Können des Chores komponierte, den er während
seiner "Wanderjahre" als Lehrer vorfand. Die 114 gezählten Werke
sind überwiegend für den kirchlichen Gebrauch bestimmt. Die
bekanntesten seiner Orgelmessen sind die "Loreto-Messe"
und die "Clemens Hofbauer-Messe".
Um das Jahr 1921 erfolgte die Begegnung mit dem Begründer
der "volksliturgischen Bewegung", dem Klosterneuburger
Chorherren Pius Parsch. Für die erste "Gemeinschaftsmesse" am
Christi-Himmelfahrtstag 1922 in der kleinen Kirche
St. Gertrud schrieb Vinzenz Goller einfache choralmäßige
Melodien. Seine "Klosterneuburger Betsingmesse", die heute als
"Leopolds-Messe" tituliert wird, zählt zu seinen
bekanntesten und weitest verbreiteten Kirchenkompositionen.
Unter den gedruckten Werken ohne Opuszahl befindet sich unter
anderen eine Ausgabe der "Messe in E-Moll" von
Anton Bruckner
mit Orgelauszug statt des originalen Blasorchesters. Erstmals
erschien diese Messe 1917, in einer revidierten Fassung
wurde sie 1931 nochmals herausgebracht. Unter den
nichtveröffentlichten und nur für Einzelne geschriebenen Werken
seien zwei genannt, die Gollers Verehrung für Bruckner deutlich
machen:
- "Festpräludium für Orgel in memoriam Anton Bruckner", 6. Juni 1937; komponiert zur Aufstellung der Brucknerbüste in der Walhalla zu Regensburg;
- 2 Festfanfaren für 11 Bläser über Themen von Anton Bruckner