Frau Prof. Elise Richter erinnert sich . . .


... So kam ich einmal am Semesterbeginn aus Versehen statt zu Hauler zu Bormanns Vorlesung. Eugen Bormann, der vortreffliche, als große Autorität seines Faches (Epigraphik, Paläographie, römische Geschichte) anerkannte Gelehrte, war eine etwas spaßhafte Erscheinung und durch seine bekannte Zerstreutheit eine komische Figur. Ich kann es mir nicht versagen, ein paar Beispiele festzuhalten.

Auf dem Katheder gab es in jedem Hörsaal ein altmodisches Tintenfaß aus weißem Porzellan, das zu Semesterbeginn gefüllt, nach Weihnachten nachgefüllt und erst nach Semesterschluß ausgewaschen wurde. Eine dicke Tintenschlammschicht füllte es dann bis über die Hälfte. Darin fand der Saaldiener zu Ostern eine Uhr. "Die gehört dem Prof. Bormann", war der erste Gedanke. Und richtig. "Ich habe mich oft gewundert, wohin sie so plötzlich verschwunden war", sagte der über den Fund sehr Erfreute. -

Einmal bat ihn seine Gattin, er möge ein Armband zum Juwelier tragen - sie wohnten in Klosterneuburg -, und Bormann versenkte es in seine Aktentasche. Nach einiger Zeit fragt ihn seine Frau, ob denn das Armband noch nicht abzuholen sei. "Armband? Was für ein Armband?" Frau Bormann beschreibt es. "Ach, das war von dir? Das habe ich plötzlich in meiner Tasche gefunden, zu Tode erschrocken, wie da so etwas hineingeraten sein kann, und sofort als Fund auf die Polizei getragen." -

Viel belacht wurde seine Führung in Carnuntum, als der Kaiser einmal auf eine Stunde hinkam. Bormann sollte im Museum führen - eine Viertelstunde -, ein anderer im Gelände, beim Amphitheater usw. Wie immer beim Kaiser war alles auf die Sekunde pünktlich geregelt. Bormann empfängt den Landesherrn am Tor des Vorgartens und beginnt seine Aufgabe mit der Erklärung eines römischen Meilensteines. "Wie Majestät wissen ..." - Der Kaiser macht eine verneinende Gebärde. "Ach, das wissen Majestät nicht?" fragt Bormann erstaunt und holt weiter aus. Nach zwei Sätzen fragt er zwischendurch: "Wissen Majestät?", und da der Kaiser lächelnd abwehrt: "Ach, das wissen Majestät auch nicht?" Und holte noch weiter aus. Die Herren des Gefolges wurden unruhig, der Adjutant schob sich hinter den Kaiser und machte Bormann Zeichen mit der Uhr. Der war in seinem Stoff und bemerkte nichts. Die Viertelstunde war längst um, ehe der Kaiser auch nur bis an die Schwelle des Museums gelangen konnte, und der Besuch mußte abgebrochen werden.

Ehe ich Zeit hatte, meinen Irrtum gewahrend, den Saal wieder zu verlassen, war er auch schon heruntergerannt, händigte mir einen Textabzug aus und nötigte mich zum Sitzen. So hörte ich einige Einzelheiten, die ich gerade für die am nächsten Tage stattfindende Seminarinterpretation prächtig brauchen konnte.



Quellen:
http://www.romanistinnen.de